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Der Rossgang und früherer Bergbau in Kaufungen

Der Rossgang

Am Nordrand des Ortsteiles Oberkaufungen zweigen von der Landstraße, die nach Nieste führt, kurz nachdem man die Eisenbahnunterführung durchschritten hat, rechter Hand die Straßen "Am Wolfsberg" und "Freudentalstraße" ab. Letztere trug noch vor wenigen Jahren die althergebrachte Bezeichnung "Alte Hütte" und wies damit auf einen früheren Hüttenbetrieb hin. Die Straße führt zum Rande des Kaufunger Waldes und endet dort in einem lieblichen Talkessel. Versteckt hinter den letzten Häusern des Ortes steht hier am Hang, abseits vom Lärm der Ortschaft, ein eigenartiger Rundbau mit einem kurzen Giebelhaus, von der Bevölkerung der "Rossgang" genannt. Das Gebäude barg einstmals das Göpelwerk und die Einrichtungen einer alten Schachtanlage des früheren Braunkohlenbergbaues und ist von kulturhistorischer Bedeutung, da es nur noch wenige dieser alten Bergwerkgebäude im deutschen Sprachraum gibt.

Die Dacheindeckung wurde in jüngster Zeit erneuert und ersetzt die alten bemoosten und schadhaften Brettziegeln. Doch die alten behauenen Fachwerkbalken zeugen von einer viele Jahrzehnte langen Standdauer des Gebäudes. Etwa um das Jahr 1820 errichtet, ist es ein Denkmal und Meisterwerk alter bergmännischer Handwerkskunst.

Betritt man das Innere des Rundbaues und betrachtet das Bauwerk näher, so stellt man mit Erstaunen fest, dass das ausgedehnte Dachgebälk, auf den Stützen einer 14-seitigen Holzwand ruhend, freitragend gebaut ist. Keine Stütze steht in dem etwa 15 Meter weiten Rund, strahlenförmig laufen die zahlreichen Sparren in der Dachspitze zusammen. Abgestützt durch seitliche Streben, die in der Mitte ein großes Augenlager aus Holz tragen, wirkt das Ganze wie ein aus Holz kunstvoll angefertigter Stern. Hier stand ehedem ein dicker, senkrechter Wellbaum. Angefertigt aus einem starken Baumstamm drehte er sich in dem Lager der Dachspitze und im Fußboden in dem Stehlager eines großen, aus einem Stück gehauenen Sandsteines von 1 Meter Seitenlänge. Noch in 1945 soll der ursprüngliche Wellbaum vorhanden gewesen sein. Er verschwand damals spurlos, wie so manches andere in jener wirren Zeit. In 1973 wurde der Wellbaum mit Seiltrommeln und Drehhebeln nach alten Vorlagen neu angefertigt und wieder eingebaut.

Das gesamte Rossganggebäude ruht auf einem Fundament aus behauenen Sandsteinen, die genau aneinandergefügt mit nur wenig Kalkmörtel verlegt sind. In dem vorgebauten Giebelhaus befand sich der Schacht. In Bolzenschrotzimmerung und rechteckigem Querschnitt ausgeführt, enthielt er zwei Fördertrümmer und ein Fahrtrum. Die Förderung erfolgte bereits mit Förderkörben, von den jeder einen Wagen aufnehmen konnte. Die Förderseile führten vom Schacht über Rollen zum Wellbaum und wickelten sich hier unmittelbar auf eine durch Holzauflagen angefertigte trommelartige Verdickung. Am unteren Wellbaumende waren etwa 4 Meter lange Hebel fest angebracht, an denen in der Regel 2 Pferde zogen und das Ganze im Kreise drehten.

Einzelne alte Einwohner von Oberkaufungen, die den Betrieb am Rossgang in ihren jungen Jahren noch erlebt haben, denn erst 1881 wurde der Göpel, nachdem er und 60 Jahre in Betrieb war, eingestellt, berichteten darüber. An den Hebeln des Göpels zogen zwei Pferde. Sie waren auf das wechselnde Spiel des Ziehens und Stillstandes bei der Beschickung der Körbe abgerichtet. Ohne besonderen Pferdeknecht sollen sie ihre Arbeit verrichtet haben. Erreichte der Förderkorb die Hängebank, ertönte eine Haltglocke, und die Pferde blieben stehen. Von selbst wechselten sie die Zugrichtung und zogen erst wieder an, wenn der Anschläger erneut das Glockenzeichen gab. Durch einen Vertrag waren die Oberkaufunger Einwohner Jonas Schäfer und Anton Kessler gehalten, die zum Betrieb nötigen Pferde zu stellen.

Die geförderten Kohlenwagen wurden auf eine an das Gebäude angebaute Holzbrücke gefahren und dort über einfache Holzschnurren in die darunter stehenden Fuhrwerke gestürzt. Nach der anderen Seite führte ein Gleis in einen langgestreckten Schuppen. Hier wurden in der absatzarmen Sommerzeit die Stückkohlen gestapelt, um sie vor dem Zerfall durch die Witterung zu schützen. Der angehäufte Vorrat diente mit im Winter zur Deckung des auch damals schon aufgetretenen stoßartigen Bedarfes.

Im Obergeschoss des Giebelhauses befand sich eine kleine Zechenstube, in der auch die Einkassierung für den Kohlenverkauf erfolgte.

Mit dem Bau und die Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Kassel-Waldkappel in den Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erfolgte auch zwangsläufig die Anlage eines Förderschachtes mit Maschinenbetrieb und höherer Leistung nahe der Eisenbahn.

Damit war der Rossschacht technisch überholt, er wurde stillgelegt. Das Rossganggebäude diente seitdem als Scheune und Lagerschuppen.

Der Bergwerkbetrieb

Betrachtet man den eigentlichen Bergwerkbetrieb der früheren Zeit anhand der noch vorhandenen Risse und Unterlagen näher, so stellt man fest, dass auch damals mit Großzügigkeit und in planvoller Weise bereits Bergbau betrieben wurde. Die Anlage des Rossgangschachtes war zwingend geworden, weil die über der näheren Talsohle anstehenden Kohlen im Stollenbetrieb abgebaut waren. Bereits um 1760 begann man daher an der tiefsten Stelle des Lossetales bei Oberkaufungen mit dem Auffahren eines Wasserstollens, des sogenannten "Passstollens". In Sandsteinmauerwerk sorgfältig ausgebaut, mit mehreren Lichtlöchern (Luftschächte und Fluchtschächte) versehen, erreichte er, nachdem zum Teil rolliges und wasserführendes Deckgebirge durchfahren war, das Kohlenflöz. In diesem auf eine Gesamtlänge von 1700 Meter weiter getrieben, konnte die Kohle, das Hangende und Liegende, das aus Schwimmsand bestand, entwässert und eine seigere (senkrechte) Höhe von 20 Meter des Vorkommens neu erschlossen werden. Damit waren auch die Voraussetzungen geschaffen zum Teufen eines seigeren Schachtes im entwässerten Gebirge. Dieser war der Schacht am Rossgang. Mit einer Teufe von 28 Meter stand er im liegenden Sand des Flözes und war in Holz ausgebaut.

Vom Füllort (Ladestelle am Schachttiefsten) aus, wurde das Flöz mit einer 100 Meter langen querschlägigen Strecke angefahren. Für den Wechsel der untertägigen Pferdeförderung waren am Füllort 40 Meter Strecke auf 3,50 Meter Breite erweitert. Ebenfalls in Holz ausgebaut, stand das Füllort 60 Jahre im trockenen, rieselnden Sand - ein Beweis für die sorgfältige bergmännische Arbeit unserer Altvorderen. Da das Vorkommen eine langgestreckte Flözmulde bildete, erschloss man zunächst den dem Schacht zugewandten Muldenflügel und fuhr in ihm streichende Strecken nach beiden Seiten. Die Streckenförderung erfolgte in den Abbaustrecken von Hand mit Förderwagen und in den Hauptrichtstrecken durch Pferde. Später erschloss man auch den gegenüberliegenden Muldenflügel und trieb zu diesem Zweck einen Querschlag durch den hangenen Ton und Sand, fuhr im ansteigenden Flöz bis zum Ausgehenden und setzte dort einen Wetterschacht.

Die Bewegung der Wetter (Versorgung der Grubenbaue mit Luft) erfolgt durch einen Wetterofen. Er stand in einiger Entfernung vom Rossschacht nahe dem Mundloch der einfallenden Wetter- und Fahrstrecken. Die kurze schachtartige Verbindung zwischen Rasensohle und Strecke war in Ziegelsteinmauerwerk ausgebaut. Sie trug einen Schornstein mit Feuerrost und Ofentür. Hier wurde ein lebhaftes Feuer unterhalten und damit Zugluft erzeugt. Vom einziehenden Wetterschacht zogen die frischen Wetter ein, durchstrichen das Grubengebäude und dienten am Wetterofen zur Versorgung des Feuers mit Luft.

Der Betrieb eines solchen Ofens war stark abhängig von der Tageswitterung und dem schwankenden Luftdruck. Mitunter drehte sich die Luftstromrichtung um, so dass der Wetterofen einzog, die Rauchgase in die Grube gelangten und die Bergleute gefährdeten. Mit Einzug der Ventilatoren wurde daher der Betrieb von Wetteröfen wegen ihrer Gefährlichkeit bergpolizeilich verboten.

Zur Einfahrt und Ausfahrt der Bergleute diente die einfallende Fahrstrecke. Da auch die Pferde nur die Schicht über in der Grube blieben, musste die Strecke so angelegt werden, dass den Tieren das Laufen in einem nicht zu großen Gefälle möglich war. Man legte deshalb die Strecke serpentinenartig an. Bemerkenswert ist, dass auch diese Strecke in einer erheblichen Länge im liegenden Sand stand. Im Abbau fand eine Art Örterbau Anwendung, denn einen planmäßigen Abbau in Brüchen kannte man damals noch nicht. Ein durch Tagebau freigelegtes Abbaufeld aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts ließ dies deutlich erkennen. In dem Bestreben, nur grobstückige Kohle zu fördern, denn für die Feinkohle war kein Absatz vorhanden, trieb man die Strecken in den Stückkohlenschichten entlang, die mit viel Geschick aufgesucht wurden.

Die Streckenstöße weitete man rückwärts abbauend aus. Unter Stehenlassen verhältnismäßig starker Pfeiler legte man eine Strecke parallel neben die andere. Nirgends wurden in den Ausweitungen Stempel oder Stempelkappen gefunden, so dass der Schluss gezogen werden kann, dass die Ausweitung wie man sagt "freihändig" erfolgte. Der Abbaustreckenausbau bestand aus gespaltenen buchenen Türstöcken von 1,80 Meter Länge mit Kappen von 80 Zentimeter Lichtweite. Kappen und Türstöcke waren mit verhältnismäßig tiefen Ausblattungen versehen. Der Abstand von Ausbauholz zu Ausbauholz betrug bis zu 1,50 Meter. Als Stoßverzug verwendeten die Alten von Hand behauene Buchenschwarten, vereinzelt auch solche aus Nadelholz in der erheblichen Stärke von 3 bis 5 Zentimeter.

Zum Einladen der Kohle in die Förderwagen benutzte man Fülltrog und Kralle. Der Fülltrog war aus Pappelholz muldenförmig angefertigt, mit seitlichen Überständen zum Anfassen. Aufgenagelte dünne Eisenbänder um die Ränder dienten der Verstärkung. Ein solcher Trog fasste rund 20 Kilogramm Kohle. Die Kralle war in der Art eines Rechens ausgeführt. Ein Querstück aus Holz trug in einem Öhr einen Stiel. Die Zinken bestanden aus Eisen, die in dem Querholz befestigt waren. Mit der Kralle konnte man unmittelbar aus dem Haufwerk vor Ort die stückige Kohle auf den Trog kratzen, während die Feinkohle liegenblieb. Diese wurde in die alten Abbaue versetzt oder über Tage auf Halde gestürzt. Noch heute liegen in unmittelbarer Nähe des Rossschachtes ausgedehnte verwitterte Feinkohlenhalden. Von hohen Bäumen bewachsen, darunter 100-jährige Eichen, geben sie uns ein Zeugnis von ehedem umgegangenem Bergbau.

Nach Wiedereröffnung des Betriebes der Zeche Freudental im Jahre 1947 wurde das Rossganggebäude, offensichtlich vom endgültigen Verfall bedroht, von der Zeche wieder instandgesetzt, um es der Nachwelt zu erhalten.

Nach der Stilllegung

Nach der erneuten Stilllegung der Zeche Freudental in 1970 übernahm der Landkreis Kassel in der Sorge um die Erhaltung eines seltenen Kulturdenkmals den Rossgang zur künftigen Pflege. In 1971 wurde das Äußere des Gebäudes ausgebessert und erneuert, in 1973 der Wellbaum mit Seiltrommel und Drehhebeln unter Verwendung alter Vorlagen wieder neu eingebaut. Im ersten Halbjahr 1974 wurde das Dachgebälk ausgebessert, gesichert und neue Dachziegeln aufgelegt.

Zudem wurden die alten Fördereinrichtungen, das Seilscheibengerüst mit einem Förderkorb und Förderwagen sowie dem Hängebankanschlag eingebaut. Dazu war die Abteufung eines 3 Meter tiefen Schachtes erforderlich. Die alte kleine Zechenstube wurde wieder in ihren ursprünglichen Zustand hergerichtet. Hier wird durch Zeichnungen, Ausstellungsstücke und dergleichen der frühere Bergbau dargestellt.

Im Rahmen des Heimatfestes der Gemeinde Kaufungen in 1983 wurde der Rossgang nach abgeschlossener Restaurierung in einer Feierstunde mit den noch lebenden alten Kaufunger Bergleuten, die teilweise an der Wiederherstellung mitgearbeitet hatten, für die Öffentlichkeit freigegeben.