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05.06.2025

Wenn die Zeit lebendig wird - Worte und Melodien inspirierten in der Begegnungsstätte

Rund 60 Besucherinnen und Besucher füllten am Mittwochabend den großen Raum der Begegnungsstätte bis auf den letzten Platz – und es erwartete sie ein unterhaltsamer Abend. Die Initiative „Zeit für Neues“ der „Koordinierungsstelle Engagiert in Kaufungen“ hatte die nordhessische Autorin und Sängerin Nicole Braun eingeladen zu einer einzigartigen Lesung mit einer musikalischen Begleitung, die die literarischen Impulse stimmungsvoll ergänzte – stets passend zum Thema „Zeit“.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Monika Beister von der Veranstaltungsleitung wandte sich die Autorin mit einem herzlichen Willkommen und einer Vielzahl von Büchern ans Publikum: „Die Zeit ist nur ein kleines Wort mit vier Buchstaben … und trotzdem steckt dort eine Unendlichkeit drin“, stellte Nicole Braun gleich zu Beginn fest und leitete mit einem Bibelzitat die Lesung ein. Denn bereits im Schöpfungsbericht sei die Zeit strukturiert: sechs Tage Arbeit, ein Ruhetag – im christlichen Verständnis ist die Zeit ein Geschenk Gottes. Die drei Musiker im Hintergrund untermalten diese Gedanken mit dem gefühlvollen Song „Fragile“ von Sting, der von der Zerbrechlichkeit des Lebens handelt.

Es folgte ein Auszug aus Senecas „Von der Kürze des Lebens“, den Braun anschließend mit Roger Willemsens leider unvollendetem Werk „Wer wir waren“ in Verbindung brachte: „Diese beiden Bücher trennen tausend Jahre, aber sie haben trotzdem viel miteinander zu tun.“ Sowohl der römische Philosoph als auch der moderne Intellektuelle richten den Blick auf den gegenwärtigen Moment – Seneca in der Forderung, das Leben jetzt zu nutzen und Willemsen mit der rückblickenden Betrachtung des aktuellen Augenblicks.

Nach diesen beiden eher nachdenklichen Texten lockerte die Band die Atmosphäre erst einmal mit dem Stück „Call me“ von Blondie auf, bevor Nicole Braun aus ihrem künftig erscheinenden Buch „Herr Meier hat Zeit“ einen amüsanten Text über einen pflichtbewussten Beamten an seinem besonderen Arbeitsplatz im Parkscheinautomat Nummer 277 am Auedamm in Kassel vorlas. Dessen Welt gerät durch die Fortschritte der Technik und denkwürdigen Begegnungen mit Kunden vor dem Automaten völlig aus dem gewohnten Takt – und plötzlich beginnt Herr Meier, Zeit zu verschenken. Eine humorvolle Geschichte, die vom Publikum mit herzlichem Applaus belohnt wurde.

Auch nach der Pause ging es vielseitig weiter. Dass man Zeit mal als langsam und mal als rasend schnell erlebt, brachte schon Albert Einstein auf den Punkt, als er die Relativität so erklärte: „Eine Stunde mit einem hübschen Mädchen wirkt wie eine Minute. Eine Minute auf einer heißen Herdplatte dagegen wirkt wie eine Stunde.“ Nicole Braun ergänzte aus einem Text von Marcel Proust, dessen monumentales Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ganze sieben Bände füllt – voller Erlebnisse, in denen die Zeit scheinbar stillsteht. Die Band interpretierte danach mit ihren Instrumenten Schlagzeug, Piano und Bass erneut Sting mit „Seven Days“.

Es folgte eine weitere Lesung, diesmal aus dem Buch „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky. Der ausgewählte Abschnitt beschreibt eindrucksvoll das Voranschreiten der Zeit in jener Szene, in der der Optiker seiner verschwiegenen Liebe Selma endlich seine Zuneigung gestehen wollte.

Mit dieser bezaubernden Beschreibung wurde der abwechslungsreiche Leseabend stimmungsvoll abgerundet. „Ich habe diese verbrachte Zeit sehr genossen“, schwärmte Besucherin Monika Schönig, „das Thema Zeit in so schöne Worte und Musik verpackt, war ein echtes Geschenk.“ Und Ulla Haupt, die sehr froh war, die letzte Eintrittskarte ergattert zu haben, ergänzte: „Dieser Abend war wie drei Tage Urlaub!“

„Time will tell…“ lautete der Titel der Veranstaltung, viele Facetten der Zeit wurden betrachtet – philosophisch, wissenschaftlich, humorvoll und musikalisch. Zeit ist also etwas, das man spüren, hören und erleben kann und so werden die Abschiedsworte der Autorin und Sängerin Nicole Braun noch lange nachklingen: „Nehmen Sie sich ganz viel Zeit!“